Eine unerfüllte Vision
Chormeister Josef Sixtls Vision war es, einen Chor von 80 bis 100 Mitgliedern aufzubauen, eine Vorstellung, die die aus der Liedertafel hervorgegangene Chorgemeinschaft Leonding bis heute nicht erfüllen konnte. Der Verein hatte in den Anfängen regen Zulauf. Wie stark sich der Chor Sixtls Wunschtraum in Wirklichkeit angenähert hätte, hätte die Geschichte einen anderen Lauf genommen, sei dahingestellt. So sahen sich die Chormitglieder aber mit sehr herausfordernden Rahmenbedingungen konfrontiert.
Vom Zweifeln und Hoffen
Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise verschärfte sich auch der Umgangston in der politischen Landschaft. Die politischen Lager versuchten mit zunehmender Gewalt ihre Ideologien durchzusetzen. Das Verhältnis zwischen österreichischem Ständestaat und dem Deutschen Reich war bis zum Anschluss oft bis zum Zerreißen gespannt, innerhalb Österreichs die Emotionen der Deutschen Nation gegenüber ambivalent. Viele sahen sich zwar als Österreicher, doch gleichzeitig als Angehörige des Deutschen Volkes. Der Zweifel an der Überlebensfähigkeit Restösterreichs, gepaart mit den katastrophalen wirtschaftlichen Zuständen, ließen den Ruf nach einer Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich immer wieder laut werden, in der Hoffnung, im Verbund mit Deutschland eine gute Zukunft aufbauen zu können.
Silvesterfeier als Wunsch nach Wiedervereinigung
In diesen Zusammenhang gestellt wird die Programmgestaltung der Silvesterfeier des Jahres 1929 verständlich. Es wurde ein Neujahrsspiel zum Besten gegeben, in dem der Übergang vom alten ins neue Jahr dargestellt und der Wunsch nach der Wiedervereinigung Deutschlands und Österreichs ausgedrückt wurde. Abgesehen davon sollte es noch Jahre dauern, bis das Deutschlandlied und vergleichbare Werke in den Aufführungen der Liedertafel stärker repräsentiert waren. Der Chor versuchte lange Zeit möglichst unpolitisch zu bleiben, ganz gelang dies nicht immer. Bereits 1933 trat der Schriftführer Josef Pesendorfer von seinem Amt zurück, weil zu viele politische und persönliche Interessen in den Verein hereingetragen wurden; nähere Details dazu sind in der Chronik nicht zu finden. Die Teilnahme an Kundgebungen der Vaterländischen Front, der später im Ständestaat allein zugelassenen Partei, wurde noch heftig diskutiert, bis sie beschlossen wurde. Der Weihestunde mit Reichskanzler Hitler im Rahmen des Sängerfestes des Deutschen Sängerbundes 1937 in Breslau wurde mit Begeisterung beigewohnt, die Verpflichtung zur Teilnahme daran durch die Obrigkeit wäre gar nicht nötig gewesen.
Durcheinander von Ernst und Scherz
Mit dem Anschluss stieg der Einfluss des Regimes auf das Vereinsleben nochmals dramatisch an, es wurden die Handhabung der Verwaltung und das Einstudieren von Pflichtchören vorgegeben. Ein Brief des Sängerkreisführers Dr. Gabl vom 25. April 1939 und „Fünf Leitsätze für alle Gesangvereine des Sängergaues Alpenland“ charakterisierten den guten deutschen Sänger. Unter anderem wurde bestimmt: „Die Männerchöre sind … Hauptpflegestätte der Laienmusik ... Die Liedertafel ... mit ihrem wahllosen Durcheinander von Ernst und Scherz, Feierlichkeit und Scheinromantik verschwindet sofort! ... Kein Platz ist daher für Traditionspflege ... und für sonstige Auswüchse der Geselligkeit vergangener Zeiten.“